Der rockige Wunderknabe aus New York

Der rockige Wunderknabe aus New York

Er tritt jeweils nur schnell nach der Show auf den Catwalk und winkt, als wären alle Anwesenden seine Freunde. Der 1963 in New York geborene Marc Jacobs hat es auch schon gewagt, in zerrissenen Jeans oder mit fettigem Haar eine Modeschau der Luxusmarke Louis Vuitton zu beenden. Das ist ihm egal und hat auch keinen Einfluss auf den Applaus. Jüngst verärgerte der mit seiner grossen Brille und stets in Turnschuhen wie ein Schuljunge wirkende Stardesigner halb New York. Er liess die geladenen Gäste samt Uma Thurman über eine Stunde warten. Einige Kleider seiner Marke Marc Ja-cobs waren noch nicht bereit. Die Verspätung empfanden die New Yorker Fa-shionfreaks als einen Affront; seine Kollektion mit gebauschten Kugelröcken verschrien sie als untragbar. Solche Marotten kommen in der Businessmetropole schlecht an. Doch auch das ist Marc egal. «In Paris kann man tun, was man will. Erhöht man jedoch etwas das Volumen in New York, kommt es schon zur Kontroverse», erklärt er in der Modezeitschrift «Vogue».

Heute wohnt der Wunderknabe mit dem treuen Blick in der Seine-Stadt. Pupertät und Jugend verbrachte er hingegen bei seinen Grosseltern in Manhatten, die an der Upper West Side des Central Parks eine Firma für Kinderkleider führten. Seine Grossmutter lehrte ihn stricken, und als der Jugendliche eines Tages auf der anderen Seite des Central Parks, der Upper East Side, ein paar glamouröse Menschen entdeckte, packte ihn das Modefieber. Er studierte an der einflussreichen Parsons School of Design, wo er schon unter seinen Kommilitonen als aufsteigendes Sternchen galt. Sympathisch, umgänglich, brillant: Schon damals gewann er Studentenpreise. Jede Menge Auszeichnungen rasselten bis heute über diesen medienscheuen Modemann nieder: vom «bes-ten Jungdesigner» des Council of Fashion Designers of America (1985) bis ins Jahr 2005, in dem er zum dritten aufeinanderfolgenden Mal vom gleichen Rat der amerikanischen Modedesigner als bes-ter Designer für Accessoires geehrt worden ist.

Marc Jacobs ist ein sensibler Mann, der seine Gefühle in Mode umsetzt. Manchmal auch seine politischen Anliegen: Eines seiner Schaufenster in New York gestaltete er Anti-Bush und an seiner Neujahrsparty trat das Schneiderlein als Ketchup-Flasche auf, als zwinkerte er John Kerry zu.

Jacobs hat eben seinen ganz eigenen Stil: Mal schlecht rasiert, mal mit langem Pferdeschwanz, mal piekfein, oft in Begleitung seiner beiden Bullterriers arbeitet er mit seinem Team bei Louis Vuitton im Glaspalast am Seine-Ufer. Dank ihm ist der 150-jährige Sattler nun nicht mehr ausschliesslich für qualitativ hochstehendes Luxusgepäck bekannt: Jacobs leitet seit 1997 im Hause Vuitton alle Entwürfe, von den bestechlichen Schuhen mit Charakter über die trendig aufgemotzte Damenmode BCBG (Bon-Chic-Bon-Genre) bis zum körperbetonten Anzug in Nadelstreifen oder Cashmere-Pullis in schillernden Farben. Alles sündhaft teuer; doch für Marc Jacobs ist dieser Status lediglich ein Job: Obwohl er im Hause Vuitton laut «Les guerres du luxe»-Autor Stéphane Marchand pro Jahr ein Salär von rund einer Million Dollar einsteckt, besitzt er weder ein Haus, eine Wohnung, noch ein Auto, sondern nur Bilder. Der Designer lässt sich nämlich gern an der Biennale in Venedig oder an der Kunstmesse Art in Basel blicken.

Dabei startete er seine Karriere mit dem düsteren Grunge-Look – und einem Skandal. 1984 zeigte er in New York seine erste Kollektion. Der Geschäftsmann Robert Duffy sass im Publikum und rief ihn am nächs-ten Tag an. Daraus ist eine bis heute dauernde Partnerschaft entstanden, wie sie einst das Duo Yves Saint Laurent und Pierre Bergé kannten. Duffy und Jacobs handelten eine Zusammenarbeit mit dem Label Perry Ellis aus. 1992 wurden sie aber gefeuert: Die depressive Grunge-Kollektion mit wild übereinander gelegten Schichten passte nicht ins Konzept. Die Starjournalistin Suzy Menkes von «Herald Tribune» lief tagelang mit einem «I Hate Grunge»-Button herum. Er habe damals diese Sachen entworfen, als er die Musik von Kurt Cobain hörte und einfach das empfundene Lebensgefühl ausgedrückt, sagt Jacobs.

«Einfach» und «bescheiden» sind Worte, die der Grunge-Guru gerne wählt. So bescheiden ist er allerdings auch wieder nicht. In einem Interview des Magazins «New Yorker» meint er: «Chanel zu bekommen wäre der unheimlichste Job der Welt. Ich würde mich gleichzeitig zu Tode fürchten und es auch unglaublich aufregend finden.» Doch das ist auch der einzig andere Job, den er, ausser demjenigen, den er gerade macht, gerne tun würde. Bei Chanel sitzt Karl Lagerfeld jedoch fest im Sattel, und Louis Vuitton hat Jacobs’ Vertrag vor kurzem um zehn Jahre verlängert, was heute in der Modeszene eine Seltenheit ist.

So grunge-like wie einst sind seine Kreationen indes nicht mehr. Klar bleiben zerrissene Elemente im Spiel, doch Marc Ja-cobs hat vor allem den Preppie-Look (süss, teuer und mit Understatement) mit Sportswear und Jeans in Luxuskreationen vereint. Er lebt in seinem eigenen Label eine mädchenhafte Romantik aus, die nicht an der Realität vorbeizieht. Aus Puffärmeln und Kugelröcken zaubert er ein witziges Girl mit Blumen im Haar. Oversize-Pulli, Ringelmuster und Wadenstulpen gesellen sich bei ihm zu silbernen Stiefeln. Überall setzt er brave Schlaufen ein: An Louis Vuittons Seidenblusen, auf den Schultern seiner teuren Abendkleider oder auf den High-heels und den Kroko- Ballerinas. Leider schreckt Marc vor solch exotischen Materialien nicht zurück. In seinen Boutiquen ruiniert sich die Kundin in wenigen Minuten. Für weniger kaufkräftige Fans bietet der Designer von Sofia Coppola, Kate Moss oder Winona Ryder seinen Preppie-Look als «Marc pour Marc Jacobs», wo eine Jeans immerhin für 175 Euro zu haben ist.

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