Vom Goalie-Sein total besessen

Vom Goalie-Sein total besessen

Sind Torhüter speziell? Anders als Feldspieler? Marco Wölfli ist ein Goalie ohne Allüren und Eskapaden. Oder in seinen Worten: ein Psycho im positiven Sinn.

Ja, ich bin anders. Ich trage Handschuhe», sagt Marco Wölfli trocken. «Goalies müssen Psychos sein. Psychos im positiven Sinn.» Psycho? Wölfli ringt nach Worten und rutscht auf dem Klappstuhl in der Berner «Milchbar» hin und her. «Wer lässt sich schon aus drei Metern abschiessen? Wer stürzt sich nach einem Corner mitten ins Gewühl?» Marco Wölfli tuts, weil er «einen der schönsten Berufe der Welt» hat. «Isch doch so?»

Wenn er erzählt, sprechen auch seine Hände. Klavierhände habe ein Journalist diese mal genannt. Schwierig, sich vorzustellen, dass diese feingliedrigen Finger vor einem Ball von 130 Stundenkilometern nicht zurückschrecken – trotz Handschuhen. Wölfli erzählt flüssig, ruhig und lacht oft, auch wenn es ihm in diesen Wochen nicht immer ums Lachen ist. Denn ein Muskelfaserriss hat ihn für ein paar Spiele ausser Gefecht gesetzt. Doch Trübsalblasen hilft auch nicht weiter. Immer bewegt sich irgendein Teil seines Körpers. Mal legt er eine Hand an die Wange und nimmt sie gleich wieder weg. Mal schlägt er die Beine übereinander und streckt sie gleich wieder aus. Seine Adidas- Sneakers, rot-weiss, sind abgestimmt auf die weisse Dreiviertelhose und das rote T-Shirt mit weissem ‹Vin-tage 69›-Schriftzug.

Er habe keine Vorbilder mehr, sagt Wölfli, er bewundere aber Fabien Barthez und Oli Kahn. Am liebsten wäre er eine Mischung aus diesen beiden. Barthez mag er, weil dieser im Spiel «cool bleibt und manchmal sogar lacht». Dies tut auch Wölfli, er lacht über kuriose Situationen in einem Match, damit er sich nicht verkrampft. «Im Grunde genommen ist Fussball ein Spiel.»

Er hats auch schon weniger cool gesehen, weil Fussball nicht immer nur ein Spiel ist. Wie 2003 im U21-Länderspiel gegen Tschechien. Wölfli stand im Tor. Es kam zum Penaltyschiessen, zur Entscheidung, welches der beiden Teams an die nächste EM fahren kann. Der Schweizer Schwegler traf bei seinem ersten Penalty nur den Pfosten. Wölfli war «geladen». Er wollte den ersten Penalty der Tschechen unbedingt halten.

Er hielt den Schuss von Sverkos. «Dann habe ich diesem Spieler alles an den Kopf geworfen, der ganze Druck hat sich entladen.» Die Schweiz kam weiter. «Jetzt feiern sie alle den Wolf im Schafspelz», sagte TV-Kommentator Sascha Ruefer nach dem Spiel. Wölfli lächelt heute entschuldigend über seinen einstigen Ausrutscher.

Oli Kahn bewundert er, weil dieser einen enormen Willen hat. Wie Wölfli. Bereits als 20-Jähriger spielte das Talent in der Super League. Nach den Trainings mit dem Klub stemmte er Hanteln, trainierte Flankenbälle. Nach jedem Spiel schaute er sich seine Aktionen auf der Videoaufzeichnung an. Dies tut er heute noch. Den Erfolg hat er sich hart erarbeitet. «Es ist auch ein Glück, diesen Beruf ausüben zu können. Viele vergessens.» Schulterzuckend fügt er an: «Isch doch so?» Sagts im Solothurnerdialekt und betonts irgendwie italienisch. Seine Mutter ist Sizilianerin, mit ihr spricht Wölfli nur italienisch.

Martin Brunner findet, Marco sei besessen vom Goalie-Sein. «Besessen im positiven Sinne. Er ist äusserst lernwillig und trainingsfleissig.» Als ehemaliger Trainer (U18/19, U21) kennt der Ex-Topgoalie Brunner den Nachwuchsmann sehr gut. Kann es Wölfli auch in die A-Nationalmannschaft schaffen? Marco habe den Ehrgeiz und das Talent dazu, antwortet Brunner. Und noch viel Zeit. «Ein Torhüter erreicht seinen Zenit erst mit 34.» Fussballerisch sei Marco bereits der beste Goalie der Schweiz, findet Teamkollege Adrian Eugster. Wie ist er als Mensch? «Kein 22-jähriger Schnösel, sondern ein ruhiger, abgeklärter Typ.»

Marco Wölfli, ein Typ ohne Allüren und Eskapaden. Einer, der sich nicht nur für Fussball interessiert, sondern nebenbei Englisch- und Computerkurse besucht. Einer, der auch neben dem Platz nicht auffällt. Einer, der sich sympathisch bescheiden zeigt: «Als Goalie darfst du dich nicht zurückziehen, du musst mit allen reden. Auch mit Chappi.» Der Respekt vor dem einstigen Champions-League-Gewinner Sté phane Chapuisat ist aus den Worten des jungen Wölfli herauszuhören. Er erzählt eine Anekdote: «Trifft Chappi im Training, fragt er jeweils: ‹Steht da überhaupt einer im Tor?› Wehre ich seinen Schuss ab, frage ich: ‹Wele Schischueh het de da gschosse?›»

Ein Torhüter muss 90 Minuten lang konzentriert bleiben. Je mehr Wölfli zu seinen Vorderleuten spricht, sie dirigiert, desto wacher bleibt er. «Alle müssen wissen, dass du da bist.» Präsent ist er mit der Stimme oder mit Paraden. Damit verschafft er sich Respekt, die Mitspieler sollen ihm den Ball lassen, wenn er laut «Ja» ruft. Martin Brunner sieht es anders, für ihn ist Wölfli noch zu zurückhaltend. «Sieht man ein Team zum ersten Mal, sollte man den Torhüter sofort erkennen. Auch an der Lautstärke. Goalies müssen sich schliesslich auch im Spiel exponieren.»

Wölfli trägt viel Verantwortung. Kann er ein Tor nicht verhindern, läuft in ihm immer der gleiche Prozess ab. Dann redet er in sich hinein: «+Jetzt erst recht». Dann schaut er nach vorne und nicht zurück. «Würde ich nur ans Negative denken, hielte ich diesen Druck nicht aus und wäre schon lange weg.»

Ein Goalie kann zehn Paraden zeigen und einen Fehler machen. «Die Leute erinnern sich nur noch an den Fehler. Isch doch so?» Damit hat er sich abgefunden, es erschüttert ihn nicht. Sagt er.

Zeigt der Torhüter in der 90. Minute eine Parade, ist er indes der Held. «Ein schönes Gefühl, wenn sie dich loben. Das darf dir aber nicht in den Kopf steigen, schliesslich bist du nichts Besseres. Isch doch so?» Wölfli ist speziell, anders als andere Goalies. Bescheidener. Den Posten des Torhüters hat er nicht gewählt, um manchmal ein Held zu sein. Energisch schüttelt Marco Wölfli den Kopf. «Darum gehts nicht. Das Spielen ist einfach geil und ich bin immer an der frischen Luft.» So ischs.

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